Der Ferrari Purosangue

Emil Frey Sportivo
Moosacher Straße 84
München.
Tel. 089/55892940

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Nun also auch Ferrari. Was für ein Trumm! Aufgebockt und tonnenschwer. Doch praktisch ist er schon. Der Ferrari Purosangue steht als 2+2-Sitzer in einer langen Tradition, die 1960 mit dem 250 GTE begann. Aber als Viertürer ist er eine Premiere in der über 75-jährigen Geschichte der Manufaktur aus Maranello und natürlich als SUV, auch wenn niemand in den Reihen der Scuderia-Mutter ihn so nennen mag. Aber welcher Sportwagen hat schon eine Bergabfahrhilfe?

Der Purosangue löst den Aston Martin DBX707 als stärkstes und den Rolls-Royce Cullinan als teuerstes SUV der Welt ab: 725 PS und rund 380.000 Euro sind eine Ansage, eine standesgemäße. Dafür bekommt man eine klassische Kanonenkugel: einen singenden V12-Sauger, der mit 716 Newtonmetern aus 6,5 Litern Hubraum an über zwei Tonnen Leergewicht zerrt und mit 22 Zoll großen Felgen vorne und 23 Zoll hinten nach Grip sucht. Wenn er ihn findet, hetzt der Purosangue in 3,3 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und kommt erst jenseits von 310 km/h erstaunlich sanft gleitend zur Ruhe. Dazu passt, erstmals in einem Ferrari, ein Burmester-High-End-Soundsystem mit 21 Lautsprechern und 1.420 Watt Gesamtleistung. Wie seine sportlichen SUV-Brüder ist der Purosangue eher ein Gepard, weniger ein Wiesel. Ein beeindruckender König der Autobahn, schnell wie ein Pfeil, stabil wie ein Strich, aber auf Land- und Uferstraßen, in Wäldern und im Winter darf man es gerne genussvoll angehen lassen, trotz aller Fahrdynamik, die sich auf feinfühlige elektrische Aktivdämpfer und eine nahezu perfekte Gewichtsverteilung gründet: Der V12-Motor ist etwas rückversetzt hinter der Vorderachse platziert, das Getriebe an der Hinterachse, was gemeinsam mit Brembo-Keramikbremsen, Allradlenkung und zuschaltbarem Allradantrieb mit variablem Drehmoment an allen vier Rädern für einen möglichst lange beherrschbaren Grenzbereich sorgt. Der Innenraum ist zwar sportiv und edel bis ins Detail, aber für einen Boliden mit knapp fünf Metern Länge und über drei Metern Radstand weniger geräumig als erwartet. Die gegen die Fahrtrichtung angeschlagenen Fondtüren lassen sich feudal auf Knopfdruck elektrisch öffnen und der Zustieg ist auf allen vier klimatisierten Massage-Einzelsitzen so bequem wie bei keinem anderen Ferrari, aber als Fahrer hat man ein völlig überladenes Cockpit und Lenkrad vor sich, weil die Italiener auf einen zentralen Touchscreen verzichten (nicht aber auf ein funkelndes Display für den Beifahrer). Auch ein Navi sucht man vergebens, Apple-Karten oder Google Maps müssen es richten, eine Anhängerkupplung ist ebenfalls nicht bestellbar. Allerdings gibt es einen Karbonträger für Ski, Snowboards und Bikes, eine elektrische Heckklappe und einen durchaus alltagstauglichen Kofferraum mit 473 Litern Volumen. Wer sich traut, kann die Rücksitze umklappen; deren rückseitige Belederung ist allerdings schnell ruiniert. Verpackt ist diese Lust auf Luxus in ein Design, das seit seiner Premiere bereits einige namhafte Auszeichnungen eingeheimst hat – und doch an manchen Stellen überrascht: Die Front mit den schnaubenden Nüstern, die ungewöhnlich groben Felgen, die breitschultrigen Radkästen aus Sichtkarbon – das ist alles ungewohnt hemdsärmelig für die sonst so souveränen Meister aus Modena. 6.500 Sportwagen hat Ferrari 2010 verkauft, im letzten Jahr waren es bereits doppelt so viele und die Marke soll weiterwachsen, wohl mit neuen Kundenschichten. Profit statt Exklusivität? Immerhin gilt Ferrari mit rund 70.000 Euro Betriebsgewinn pro Fahrzeug als profitabelster Automobilhersteller weltweit. Der Anteil des Purosangue an Ferraris Gesamtproduktion soll übrigens 20 Prozent nicht überschreiten, was auch der CO2-Bilanz des Herstellers guttun dürfte, denn mit 393 Gramm pro Kilometer stößt der Purosangue doppelt so viel Kohlendioxid aus wie seine Sportwagenschwestern.

Ist dieser breitbeinige Auftritt ein Blick in die Zukunft? Dann ist das wohl eine Zukunft, in der Gentleman Driver langsam aussterben und niemand mehr weiß, dass das Cavallino Rampanteursprünglich auf dem Jagdflugzeug des berühmten italienischen Piloten Francesco Baracca prangte, der aus Ravenna stammte. Als Enzo Ferrari dort 1923 den Circuito del Savio gewann, riet im Baraccas Mutter, die Gräfin Paolina Biancoli, das springende Pferd als Glücksbringer auf seinem Rennwagen anzubringen. Der Rest ist Geschichte. Beim Purosangue lohnt es sich sprichwörtlich zurückzublicken: Das Heck ist seine Schokoladenseite. Wer mag, kann eine Reminiszenz an den ikonischen 250 GTO entdecken, immerhin. Und ja, auch die Motorhaube ist länger als üblich, die Dachlinie wirklich schön geschwungen. Ungefähr so, wie die gelupfte Augenbraue eingefleischter Ferraristi, wenn sie diesen burschikosen Kraftprotz das erste Mal erblicken.