Elena Salmistraro

Elena Salmistraro

Oft sind es Hunderte von Zeichnungen, die den Weg zu ihren Entwürfen ebnen. Zu vielschichtigen, meist figuralen Werken, die Aufsehen erregen. Und in denen die Grenzen zwischen Produktdesign, Illustration und Kunst verschwimmen. Längst ist Elena Salmistraro deshalb aus der namhaften Mailänder Kreativszene nicht mehr wegzudenken. Wir stellen die 37-Jährige und ihren schillernden Kosmos vor, in dem sich poetische Ideen in clever gestaltete Gebrauchsobjekte verwandeln. Sideboards in Form rätselhafter Fabelwesen, Vasen in Gestalt abstrahierter Primatenköpfe oder Teppiche mit surrealen Weltraummotiven: Wer Elena Salmistraros Œuvre betrachtet, kommt oft aus dem Staunen kaum heraus. Weit abseits minimalistischer Designkonzepte hat die Künstlerin eine immer überraschende Formensprache mit hohem Wiedererkennungswert entwickelt, die nicht von ungefähr mit figuralen Motiven und Elementen der Illustration spielt. Von Kindesbeinen an erforschte die Mailänderin ihren Kosmos zeichnend – eine Methode, die Welt verstehen zu lernen und sich anzueignen, die auch später Grundlage für ihre Kreationen bleiben sollte. „Als ich meine Eltern nach dem Kunstgymnasium mit dem Wunsch konfrontierte, mich weiter in dieser Richtung bilden zu wollen und auf die Kunstakademie zu gehen, waren sie äußerst skeptisch“, erzählt sie. „Ich solle stattdessen doch lieber das angesehene Mailänder Polytechnikum absolvieren.“

Die Tochter fügte sich und dieser Entschluss erwies sich als prägend für ihre Karriere. Denn durch das Studium von Mode und Produktdesign kamen zu ihrem künstlerischen Hintergrund und der Lust am Zeichnen weitere Techniken hinzu. Techniken, die ihr halfen, die zweidimensionale Welt der Zeichnung ins Dreidimensionale zu übersetzen – Pole, zwischen denen sich ihre Arbeit noch heute bewegt. Denn egal, ob Elena Salmistraro gerade eine Vase, ein Möbelstück, ein Kunstobjekt oder eine Installation entwirft, oft beginnt der Prozess in jenem Winkel ihres Studios, der dem Zeichnen gewidmet ist. Hier findet sie Ruhe vom Alltag. Hier nehmen ihre Entwürfe Gestalt an. Ihre künstlerische Herangehensweise beschreibt die 37-Jährige als Prozess des Aussortierens, in dessen Verlauf die finale Formgebung eines Projekts mit oft Hunderten von Zeichnungen und Reflexionen eingekreist wird. „Normalerweise lasse ich dem kreativen Prozess absoluten Freiraum“, erklärt Elena Salmistraro. „Ich untersuche zunächst zeichnend verschiedene Formen ohne ein bestimmtes Ziel. Dann nehme ich aus dem so entstandenen chaotischen Wirrwarr von Elementen diejenigen heraus, die ich als geeignet für die endgültige Gestaltung ansehe.“ Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem sich der finale Entwurf vom Papier löst und beginnt, als Objekt ein Eigenleben in 3D zu führen.

In den Anfangstagen ihrer Karriere stellte die Designerin diese Objekte noch selbst aus Keramik, einem ihrer Lieblingsmaterialien, her. Schließlich kennt sie sich dank ihres Studiums am Polytechnikum detailliert mit Haptik und Textur verschiedenster Materialien aus. Mittlerweile haben aber längst ihre Auftraggeber, darunter zahlreiche renommierte Marken wie Apple, Nike, De Castelli oder Alessi die Produktion übernommen. Doch Elena Salmistraros Werke begeistern nicht nur durch ihre besondere Formgebung. Sie sind facettenreich und komplex. So spürt man sofort auch eine poetische, sinnliche Qualität, die sie wie seltsam beseelt wirken lassen. Das mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass viele ihrer Entwürfe, wie z. B. diejenigen des Wandschrankes „Grifo“, figurale Züge tragen. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Qualität liegt dabei in ihrem Ansatz, Design explizit emotional aufzuladen: „Ähnlich wie gute Poesie, die mithilfe von Codes versucht, Gefühle zu wecken, versuche ich mit meinen Entwürfen, Menschen zu bewegen und aus der emotionalen Reserve zu locken“, beschreibt sie ihr Ziel. Sie gestalte nicht fürs Museum, sondern für „Menschen, die fühlen und sich von Emotionen nähren“ und die Objekte in ihren Alltag integrieren.

Als besonders wichtig für ihr Schaffen nennt Elena Salmistraro den Einfluss der holländischen Designerin Hella Jongerius, die in ihren Augen die Welt des Ästhetisch-Künstlerischen auf besonders intelligente Weise mit den Anforderungen der Serienproduktion und der Funktion verknüpft hat. Schließlich zählt auch für die Mailänderin nicht nur die originelle Formgebung ihrer Objekte, sondern auch deren Funktionalität. Als Künstlerin, die sich den Formenwelten von Gotik, Barock und Art déco verbunden fühlt, hat sie keine Scheu vor dem Ornament. Wirken diese Einflüsse jedoch eher als eine Art Fonds für ihr Schaffen, stammen die konkreten Inspirationen meist aus dem scheinbar Unscheinbaren und dem Beiläufigen. Alles kann Inspiration sein, alles Inspiration werden. So entstand die Idee für das „Primates“-Projekt für die Keramikmanufaktur Bosa während einer TV-Dokumentation über Affen, die Teppich-Serie „Space Escape“ für Moooi ist von David Bowies berühmtem Album „Space Oddity“ inspiriert.

Auch von Flohmärkten bringt sie immer wieder Ideen in Form von Fundstücken mit nach Hause, die ihr aufgrund einer besonderen Form aufgefallen sind oder die sich in etwas Neues verwandeln lassen. So wird zum Beispiel aus einem Trichter und einem kleinen Ofen schnell einmal ein kleiner Roboter gebastelt. „Ich glaube, wir suchen Inspirationen oft auf die falsche Art und Weise und am falschen Ort“, reflektiert Elena Salmistraro. „Wir sollten anfangen, besser zu beobachten, was uns direkt umgibt. Und lernen, die Dinge wirklich zu sehen und sie nicht nur zu betrachten.“ Eine Herangehensweise, die auch daher rührt, dass die zweifache Mutter versucht, sich ihr „inneres Kind“ zu bewahren, ihren Emotionen und ihrem Instinkt zu folgen und Dinge einfach mal auszuprobieren. Dazu gehört auch, sich Fehler zu erlauben und jene Zwänge zu überwinden, die eine bestimmte Art von Reife mit sich bringen. Diese Freiheit, Schönheit abseits des Typischen zu suchen, dort, wo man sie nicht unbedingt vermuten würde, bewahrt sie sich auch in ihrer Heimatstadt. So gehören zum Beispiel die Gegend rund um die Vicolo dei Lavandai, die alte „Wäschergasse“, mit ihren Bars, Boutiquen und Galerien oder das Kreativ-Viertel 5 Vie zu ihren Lieblingsorten. „Ich kann mich aber auch für einen alten verfallenen Hinterhof begeistern, der jedem anderen unscheinbar und langweilig erscheint“, erzählt sie. „Man muss ihm nur einen zweiten oder auch dritten Blick schenken, dann erschließt sich sein ganzes verstecktes Potenzial.“