Morbide Ästhetik

Ein Fisch mit weit aufgerissenem Maul als Lampe, ein Schweinekopf als Teekanne mit passenden Tassen oder ein menschliches Herz als Vase – all diese Arbeiten stammen von Maria Volokhova. Seit zehn Jahren lebt die gebürtige Ukrainerin als freischaffende Künstlerin und Designerin in Berlin und zeigt seither mit ihren Werken, dass man aus feinem Porzellan weit mehr machen kann als die klassisch lieblichen Dekore, die bei den meisten für besondere Anlässe im Schrank stehen. „Think out of the box“ lautet ihr Motto. Und so entstehen zwischen Bildender Kunst und Produktdesign ausgefallene funktionale Objekte, vor allem inspiriert von historischen Vorbildern sowie Formen und Strukturen der Tier- und Pflanzenwelt. „Mich interessiert die Ästhetik des Hässlichen und das Nachaußenkehren innerer Erscheinungen und Prozesse“, erzählt sie im Interview. „Die natürlich vorkommenden Strukturen und die Schönheit bestimmter Phänomene, die gemeinhin nicht unbedingt als ästhetisch erachtet werden, faszinieren mich.“ Dass es beruflich in Richtung Gestaltung gehen sollte, wusste die gebürtige Kiewerin schon früh. „Mit sechs Jahren fing ich an zu zeichnen und besuchte eine Abendkunstschule, bevor ich an einem Kunstgymnasium meinen Abschluss machte“, erinnert sie sich. Ihr Studium an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle führte sie 1997 schließlich nach Deutschland. Besonders faszinierte sie die Arbeit mit dem Werkstoff Keramik, da dieser ihre Gedanken so gut in etwas Haptisches übersetzen konnte. So entstand der Wunsch, in Japan, dem Land, das als Wiege der Keramik gilt, mehr darüber zu lernen. 2006 ergatterte Volokhova einen Platz an der Tokyo University of the Arts GEIDAI und begann, sich intensiver mit den unterschiedlichen Facetten des Materials – unter anderem mit dem feinkeramischen Porzellan – auseinanderzusetzen. Zudem beschäftigte sie sich eingehend mit der Anatomie des Menschen und dem Kontrast, den die medizinischen Details zu dem erhabenen Material schaffen. Und so reifte die Idee, mit Porzellanarbeiten das Innenleben von Mensch und Tier zu erforschen und abzubilden. Zurück in Deutschland und in ihrem eigenen Studio in Berlin-Kreuzberg legte die Künstlerin kreativ und experimentell los. Ein Eierbecher auf Hühnerfüßen oder ein Schafschädel, der sich in fünf Einzelteile (Tasse, Schüsseln und Teller) zerlegen lässt, gehören zu ihren bisherigen Werken, die sie mit Drehplatte, Feilen, Messern, Pinseln und Bürsten fertigt. Am liebsten entwirft die Brünette ganze Tafeln nach barockem oder fürstlichem Vorbild samt Geschirr für besondere Mahlzeiten – vom aufgeschlitzten Hasen als Obstschale über ein 10.000-fach vergrößertes Lungenbläschen als Servierplatte mit Haube bis hin zur Sauciere in Form eines Embryos. Durch das gestalterische Spiel mit morbiden, oft abstoßenden Motiven, die sie auf Alltagsgegenstände wie Geschirr, Vasen und Lampen projiziert, schafft sie eine Kunstform, die nicht nur betrachtet, sondern auch benutzt werden kann. „Ich möchte die Menschen zum Nachdenken anregen und gedanklich auf eine neue Ebene führen“, antwortet sie auf die Frage nach der beabsichtigten Wirkung ihrer Kunst. Hinzu kommt der Kontrast zum traditionellen und edlen Material Porzellan, das die unangenehmen Inhalte auf eine neue ästhetische Ebene hebt. Künstlerische Übersteigerungen oder Vereinfachungen versucht die 40-Jährige dabei zu vermeiden, stattdessen möchte sie die Kreationen der Natur so wiedergeben, wie sie sind. Deshalb modelliert sie die natürlichen Strukturen nicht nach, sondern nutzt die Technik der Abformung. Das gestaltet sich aufgrund der Oberflächenbeschaffung jedoch oft schwierig. So klappte etwa die Abformung des schleimigen Äußeren und Inneren eines Seeteufels erst beim vierten Versuch. Und das, obwohl die Designerin dafür extra eine Vorrichtung gebaut hatte, in der der Fisch aufgehängt und das Innere aufgespannt werden konnte. Die Künstlerin verbringt viele Stunden mit dem Austesten und Nachjustieren und damit, die Grenzen des Möglichen zu erweitern. „Neue Projekte entstehen, wenn ich etwas sehe, das mich fasziniert. Dann hinterfrage ich, was daran spannend ist, und versuche genau diesen Moment mit meiner Arbeit einzufangen“, erklärt sie. Manche Ideen werden ohne lange Vorbereitung sofort umgesetzt. Für andere, meist konzeptionelle Arbeiten recherchiert Maria Volokhova Hintergrundgeschichte und Symbolik in der Bibliothek und beginnt anschließend mit ersten Abformungen aus Gips, Silikon oder Tonmodellagen, die sie schrittweise verfeinert, abgießt, brennt und glasiert. Viele Details und Gedankenebenen entstehen immer erst im Prozess. Ein Schwein etwa hat eine sehr konträre Symbolik und steht einerseits für Glück, andererseits für schlechtes Benehmen oder einen schlechten Menschen. „Genau mit dieser Dichotomie spiele ich bei meinen Designs“, beschreibt sie. Zwischen der ersten Idee und dem fertigen Werk liegen meist acht bis zwölf Monate, manchmal auch mehrere Jahre. Eine Schwanenlampe war die bisher aufwendigste Arbeit. Drei einzelne, circa fünf Zentimeter dicke Gipsformen à 20 bzw. 30 Kilo hat sie dafür mit 15 bis 20 Litern Porzellanmasse gefüllt, einzeln gebrannt und hinterher zusammengesetzt. Oft sind die Rohlinge so schwer und groß, dass die Designerin, die meist allein arbeitet, sie nur mithilfe eines Assistenten bewegen kann. Auch das Material birgt einige Tücken. Porzellan kann beim Brennen reißen oder sich verziehen, zudem schrumpft es um 16 bis 18 Prozent. Dadurch sind die Modelle viel größer als die späteren Endprodukte und aus einem 40 Kilo schweren fasshohen Rohling wird später eine gerade einmal 40 Zentimeter hohe Vase. Um ein breiteres Publikum anzusprechen, arbeitet die Künstlerin immer bewusst zwischen Kunst und Produktdesign, also gefälligeren Artikeln, die man in ausgewählten Läden (in München z. B. im Chaingang Store) erwerben kann. Ansonsten verkauft sie an Sammler und Museen, Designer sowie professionelle Kunstschaffende, stellt sie ihre Werke in Galerien aus oder präsentiert sie diese weltweit auf Shows. Ihr Lieblingsprojekt? Immer das, woran sie gerade arbeitet – seit drei Jahren mittlerweile an einem langen gehegten Traum, einer großen Tafel, bei der es um menschliche Anatomie geht und die bis zum kommenden Frühjahr endlich fertig werden soll.