Bodo Sperlein

Bodo Sperleins Kindheit in München

„München hat in mir das Interesse an Kunst geweckt und eine gute Grundbildung vermittelt“, erzählt Bodo Sperlein gleich zu Beginn unseres Gesprächs auf die Frage nach der Bedeutung seiner Heimatstadt für seine berufliche und persönliche Vita. Hier hat der gebürtige Bamberger seine Kindheit und Jugend verbracht, hier hat er noch viele Freunde und seit zehn Jahren auch wieder eine Wohnung in der Oberen Au, einem Viertel, das er – Gentrifizierung hin oder her – noch immer extrem spannend findet. Seine Zeit verbrachte das wissbegierige Kind lieber in Museen als auf dem Spielplatz, am liebsten im Stadtmuseum am Sankt-Jakobs Platz. Umso schmeichelhafter für den 57 Jährigen, dass heute eine ganze Reihe seiner Arbeiten, Entwürfe für Silberobjekte, Geschirr und Textilien, in der ständigen Sammlung des größten Designmuseums der Welt, der Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne, vertreten ist.

Schon früh zog es den Designer nach London

Um in seiner Heimat an derart prominenter Stelle Spuren hinterlassen zu können, musste ihr der spätere Designer aber erst einmal den Rücken kehren. Ende der 1980er-Jahre zog er nach London, um sich auszuprobieren, sich zu amüsieren und, last, but not least, um sich in das kulturelle Angebot der britischen Hauptstadt zu stürzen. „Nach einer Weile musste aber eine berufliche Perspektive her, schließlich wollte ich nicht als Party Animal enden“, schmunzelt Sperlein. „Im Übrigen gab es da auch noch meine gestalterischen Interessen.“ Und so entschied er sich für das Studium 3-D-Design mit Schwerpunkt Keramik am renommierten Camberwell College of Arts London, inmitten der vibrierenden Metropole, die damals im Bereich Design und Kunst zu den globalen Hotspots zählte. Hier kitzelten ihm seine Professoren „das Auge für die Dinge raus“ und der „Rohdiamant bekam seinen Schliff“. Schon seine Abschlussarbeit, eine komplexe Installation aus Möbeln, Leuchten und Keramikobjekten, erregte Aufsehen, danach folgte schnell ein Auftrag des Modelabels Browns South Molton Street, eine Home Collection inklusive Tableware zu entwerfen. Ein Stipendium ermöglichte dem Designer schließlich, ein eigenes Studio zu eröffnen, in dem er heute noch arbeitet.

Die Einflüsse der sehr freien, innovativen Londoner Kreativ- und Kunstszene und sein Studium prägten sein Verständnis von gutem Design maßgeblich. Dabei sieht er große Unterschiede zu den Designansprüchen seines Heimatlandes. „Deutsches Design folgt den Vorgaben der Industrie, es ist sehr technikorientiert. Viele deutsche Designer gehen zudem auf Nummer sicher und klonen Bestehendes“, führt er aus. „Da fehlt mir dann die Emotion in den Entwürfen. Schließlich braucht niemand einen neuen Stuhl, der aussieht wie alle anderen.“ Sperlein sieht sich selbst als Künstler, der designt. Sein Credo: Designs müssen Geschichten erzählen und Emotionen wecken, sie müssen gleichzeitig besonders und zeitlos sein, dürfen nicht nach der Mode schielen, um nicht irgendwann weggeworfen zu werden, stattdessen sollten sie zum Erbstück avancieren. „Das ist auch meine Vorstellung von Nachhaltigkeit“, erläutert er dazu nachdenklich. Ihm ist es ein Anliegen, „der Faszination des Unmodernen“ nachzugehen, Dinge zu bewahren und das Vergessene wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Als er einst mit Keramikarbeiten begann, galt das Material ebenso wie Silber als hilflos angestaubt. Heute sind seine Tableware Entwürfe, wie das ikonische Dekor „Black Forest“ für Dibbern Porzellan, und seine Silberarbeiten berühmte Beispiele zeitlos-modernen Designs, das gut altert.

Luxus, Handwerk und kreative Freiheit

Sperlein hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Arbeiten für Luxusbrands entworfen – darunter High-End-Fernseher für Loewe oder maßgefertigte Konsolentische für die Flagshipstores von Louis Vuitton – und so möchten wir wissen, was Luxus für ihn persönlich bedeutet? „Mir Zeit für einen Entwurf zu nehmen, mit herausragenden Handwerkern und Manufakturen zusammenzuarbeiten und mich ausgiebig mit Materialien auseinandersetzen zu können, die mich interessieren“, so die Antwort des als Materialfetischist geltenden Perfektionisten, der sich im Laufe des Gestaltungsprozesses nach eigener Aussage „jede noch so kleine Schraube anschaut“. Immer wichtiger wird für ihn die Zusammenarbeit mit Auftraggebern, die seinen eigenen Ideen gegenüber offen sind und sich auch mal etwas trauen. Um die Kontrolle über seine Designs zu behalten, bietet Sperlein inzwischen auch Brandconsulting an und vereinbart vertraglich, wie die von ihm entworfenen Produkte fotografiert oder ausgestellt werden dürfen. Ebenso dem Wunsch nach bestmöglicher Kontrolle des kreativen Prozesses und einer kompromisslosen Herstellungsqualität geschuldet, rückt seine eigene Kollektion mit Unikaten, wie den legendären Marmortischen, die in Galerien ausgestellt oder auch im Auftrag eines Sammlers maßgefertigt werden, stärker in den Fokus seines Schaffens.

Ein weiteres Zukunftsprojekt ist das Erobern neuer Produktgenres. Gerade erst ist sein erster Polstermöbelentwurf, der Sessel „Mayu“ erschienen und für die katalanische Marke Coordonné hat er seine erste dreidimensional wirkende Tapetenkollektion „Artisan“ entworfen, die mit der Ästhetik von Graphit- und Tuschelinien sowie der reichen Struktur von Ölfarben spielt. Ungewohntes Terrain ist auch der Auftrag, die Jugendstil-Ausstellung in der Kunsthalle München zu gestalten, die ihre Pforten im Herbst öffnen und viele Exponate – ausgerechnet – aus der Sammlung des Münchner Stadtmuseums zeigen wird.

Genussvolle Ästhetik

Privat spielen für Sperlein, passend zu seinen zahlreichen Keramikentwürfen, Kulinarik und Tischkultur eine große Rolle. Unsere Frage, ob er gerne kocht und ob die optische Präsentation von Gerichten für ihn von Bedeutung ist, freut ihn sichtlich. „Mein Vater war Jäger, insofern hat Essen schon in meinem Elternhaus eine große Rolle gespielt“, erläutert der ambitionierte Hobbykoch, zu dessen selbstgekochten Lieblingsgerichten gemischtes Wild aus der Kasserolle gehört. Und so erstaunt es auch nicht, dass die Objekte, die er bei sich zu Hause am liebsten in den Händen hält, eine selbst designte Bechertasse namens Luna und ein in Japan gekauftes Kochmesser, aus dem Lebensbereich Küche stammen. Wenn der Wahl Londoner auswärts essen geht, begegnet er oft seinen eigenen, in Sterne- und Toprestaurants sehr beliebten Geschirrentwürfen, was ihn stolz macht, da er eine emotional packende Inszenierung von Gerichten für zunehmend wichtiger hält. „In einer Zeit, in der das Geld knapper und die Restaurantbesuche seltener werden, erwarten die Leute zu Recht, dass ihnen etwas geboten wird“, resümiert er. „Was zählt, ist die Emotion.“ Wobei wir wieder bei seinem gestalterischen Credo wären.

Claude Okamoto (Gericht); Fabian Frinzel (Sessel „Mayu“, Teller „dibbern silhouette“, Porträt); Jon Day (Hocker „Contourline Bronze“); Michael Donath (Teller „nikko goldline“ und Geschirr „nikko blossom“); Schnepp Renou (Tisch mit Lampe)