Poglia

Interview mit Max Poglia

Käfer Zeitung: Herr Poglia, Sie sind gebürtiger Brasilianer mit italienischen Wurzeln, haben lange in New York gelebt, wohnen heute in Florenz und verbringen viel Zeit auf Reisen. Wie prägen die unterschiedlichen Kulturen Ihr Leben?

Sie sind der Grund für das, was ich tue. Sie haben mich zu der Person gemacht, die ich bin, und durchdringen all meine Arbeiten. Aus Brasilien stammen die Rohstoffe für meine Werke, die Italiener mit ihrer Art, das Leben zu zelebrieren, sind für mich die Inspiration, all meinen Designs eine Portion Dolce Vita einzuhauchen und New York City begeistert mich mit seiner einzigartigen Magie, auch die simpelsten und ältesten Gegenstände stylish und elegant wirken zu lassen. Selbst ein verfallenes Backsteinhaus sieht hier cool aus und atmet Geschichte. Deshalb habe ich auch den Griffen und Klingen meiner Messer einen rustikalen Vintage-Look verpasst. Ich wollte ihnen diesen besonderen Chic verleihen und sie für den damit verbundenen lässigen Lifestyle stehen lassen.

Was fasziniert Sie gerade an Messern?

Messer sind sexy und haben Stil. Sie können stumpf sein oder sehr gefährlich. Ich zitiere an dieser Stelle gern Charles Bukowski, der einmal gesagt hat: „Etwas Gefährliches mit Style zu tun, ist Kunst. So kann ein Stierkampf ebenso wie das Boxen, die Liebe oder das Öffnen einer Sardinenbüchse Kunst sein“.

Wie kamen Sie auf die Idee, eigene Produkte zu entwickeln und ein Unternehmen zu gründen?

Den Startschuss gab der Umzug mit meiner Frau, die damals als Model arbeitete, von Mailand nach New York City vor 14 Jahren. Wir haben diesen Ortswechsel spontan entschieden, ohne vorher jemals in der Stadt gewesen zu sein. Ich habe dort angefangen, als Grafikdesigner und Berater für Restaurants zu arbeiten, und unter anderem 2011 das Bistro Buvette mitkonzipiert, das heute mit seiner charmanten Vintage-Optik auch in Paris und London bekannt ist. Zwei Jahre später bekam ich die Möglichkeit, eine Signature-Kollektion mit Kleinlederwaren und Wolldecken für Richard Geres Hotel Bedford Post zu entwerfen. Danach wurden meine Arbeiten wahrgenommen und weitere Interessenten fragten an. Ich mietete eine Werkstatt mit Büro in Brooklyn und begann mit der Fertigung ausgewählter Produkte. Es war schon immer mein Wunsch, etwas zu kreieren, was mich an meine Heimat Brasilien erinnert und dazu noch funktional und stylish ist.

Abgesehen von Orten, welche Menschen inspirieren Sie?

Vor allem durch seine Arbeit und seine Begeisterungsfähigkeit für die einfachsten Dinge hat mich mein Großvater in meiner Kindheit stark geprägt. Er führte in Brasilien über 50 Jahre lang einen Haushaltswarenladen. Nach der Schule und in den Ferien war das Geschäft mein Abenteuerspielplatz. Ich erinnere mich bis heute an den rot-gelb gefliesten Flur und die riesigen Vitrinen, vollgepackt mit Werkzeugen und Messern. Einige der Möbel stehen immer noch in meinem Haus in Brasilien. Ich liebe die Verbindung aus alt und neu, Tradition und Zeitgeist. Mich fasziniert auch der Mix von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Dieses Flair ist in New York besonders stark. Deshalb kann ich in dieser Stadt so kreativ sein. Hier ist zum Beispiel meine Picknick-Kollektion entstanden.

Großstadt und Picknick – wie passt das zusammen?

In unseren ersten Jahren im Big Apple lebten wir uptown mit Blick auf den Central Park. Im Sommer ist er sehr beliebt für ein Picknick im Grünen und so wollte ich etwas Praktisches entwerfen, das sich in der Stadt leicht transportieren lässt. Einmal betrachtete ich im Urlaub die Decke, auf der wir saßen und plötzlich kam mir die Idee, diese als Tasche umzufunktionieren. Also entwarf ich in meinem Atelier ein erstes Modell gemeinsam mit Messern, Flaschenöffner und Korkenzieher, die perfekt in die Tasche passten. Die „New York Times“ bezeichnete meine Designs dann als „Rückkehr zu einfacheren Zeiten für den modernen Mann“. Und das wurde unser Motto.

Welches Accessoire ist für Sie selbst im Alltag unverzichtbar?

Unsere „Porter Bag“ mit integrierter Huthalterung, da ich sehr oft Hüte trage. Das Besondere an ihr ist, dass sie aus einem Stück gearbeitet und nicht aus Einzelteilen zusammengestückelt wird. Aus den abgeschnittenen Lederresten fertigen wir wiederum Schutzhüllen für die Messer an. Etwa eine halbe Kuhhaut benötigten wir für jede Tasche. Dann lassen wir sie auf natürliche Weise durch Sonne und Regen an der frischen Luft altern und versiegeln sie mit Pflanzenöl, was die Tasche besonders langlebig macht und ihr einen Used-Look verleiht. Außerdem habe ich immer ein Taschenmesser dabei.

Durch die filigrane Gestaltung aus Horn, Knochen und Eisen und das unperfekte Finish wirken Ihre Messer so, als wären bereits die Gauchos damit durch die Steppe gezogen. Wie gelingt dieser Look?

Die meisten Materialien stammen von Farmen aus dem Süden Brasiliens nahe Porto Alegre und damit unweit von dort, wo ich aufgewachsen bin. Besonders am Herzen liegt mir, dass alle Rohstoffe ethisch vertretbar und mit Rücksicht auf die Umwelt gewonnen werden. Den Stahl für die Klingen schneiden wir aus alten Scheibenpflügen, nicht rostfrei natürlich, sodass sie mit der Zeit anlaufen, doch genau das macht den besonderen Charakter der Messer aus. Ich empfinde dabei jeden Makel als Bereicherung, da er die Klingen zeitlos macht. Sie sollen für Stärke und Langlebigkeit stehen. Das Gleiche gilt für die Griffe, die für mehr Stabilität beim Schneiden vollständig von der Klinge durchzogen sind. Horn und Knochen sind ebenfalls Materialien, die stets weiterarbeiten und sich verändern. Sie stammen aus der Region Jaguarão, wo sie als Nebenprodukte bei der besonders tier- und umweltfreundlichen Zucht von Büffeln und anderen Rindern abfallen.

Sie arbeiten eng mit traditionellen Handwerkern in Brasilien zusammen. Mit welchen Herausforderungen sind Sie dabei konfrontiert?

Zunächst einmal mit der Zeit. Alles entsteht im Einklang mit der Natur, denn wir arbeiten nur mit recycelten Materialien und organischen Werkstoffen. Das bedeutet: abwarten. Ein Büffelhorn zu gewinnen, braucht ebenso seine Zeit wie dessen weitere Verarbeitung. Abgesehen von der Suche nach den passenden Werkstoffen war es nicht einfach, die geeigneten Mitarbeiter vor Ort zu finden. Jede Klinge wird von Hand auf die ausgedienten Stahlscheiben gemalt, ausgeschnitten und weiterverarbeitet. Das erfordert großes Können und Geschick. Deshalb arbeiten wir nur mit Schmiedemeistern zusammen, die ihr Handwerk jahrelang gelernt und von ihren Vorfahren alle Tricks und Kniffe erfahren haben. Den finalen Glanz bekommen die Stücke in unserer Werkstatt in Brooklyn. Von dort aus vertreiben wir alle Poglia-Designs mittlerweile hauptsächlich online in geringer Stückzahl. Die Koordination ist neben der Weiterentwicklung der Designs heute meine Hauptaufgabe in der Firma.

Was macht Ihnen am meisten Freude an Ihrer Arbeit?

Dass ich damit meine Leidenschaft und Kreativität ausleben kann und meine Herkunft greifbar wird. Auch die Herausforderung besonderer Projekte, etwa das Designen eines Messers für die Netflix-Show „Frontier“ oder eines Bar-Services in Zusammenarbeit mit Clos19 für Louis Vuitton. Momentan entwerfe ich in unserer neuen Heimat Florenz gemeinsam mit der Manufaktur Peplor einen hochwertigen Füller, ebenfalls aus Horn und Knochen. In erster Linie macht es mich aber glücklich, funktionale Kunstwerke zu schaffen, die als Erbstücke von Generation zu Generation wandern und so Teil einer Familiengeschichte werden.

Text von Thersa Wiediger

Bildrechte: Eduardo Cerruti (Messer auf Holztisch); Gentl and Hyers Photography (Teller mit Messern)