Der Weg zu den Sternen

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Käfer Zeitung: Herr Flinkenflügel, eine Frage vorweg: Was hat eigentlich der Reifenhersteller Michelin mit dem Guide Michelin zu tun?

Ralf Flinkenflügel: Oh, eine ganze Menge! Die französischen Brüder André und Éduard Michelin von der Manufacture Michelin & Cie entwickelten 1891 nicht nur den ersten luftgefüllten Fahrradreifen, sie waren auch die Ersten, die einen luftgefüllten Reifen bei einem Langstrecken-Autorennen testeten. Beide waren fest von der Zukunft des Reisens und der Mobilität überzeugt. Sie müssen sich vorstellen, dass das Autofahren damals noch ein richtiges Abenteuer war. Es gab keine Schilder, der Straßenbelag war schlecht und die Autofahrer hatten mit zahlreichen Pannen zu kämpfen. Da hatten die Brüder eine weitere revolutionäre Idee: Sie brachten im Jahr 1900 ein kleines kostenloses Handbuch mit zahlreichen Tipps für unterwegs heraus. Darin hatten sie Adressen für Kraftstoffdepots, Werkstätten, Unterkünfte und Restaurants in Frankreich zusammengefasst. Der Guide Michelin wargeboren. Und noch heute ist der Reifenhersteller sein Herausgeber.

Mittlerweile konzentriert sich der Guide auf Hotels und Restaurants, dafür jedoch weltweit. Diese werden mit den berühmten Sternen bewertet. Wie kam es dazu?

Der Guide Michelin mit all seinen Tipps für Autofahrer wurde nach einigen Startschwierigkeiten sehr erfolgreich, sodass man beschloss, eine internationale Reihe zu starten. 1910, also zehn Jahre nach der Ersterscheinung, schloss der Guide Michelin bereits alle westeuropäischen Länder ein. Und schnell kamen immer mehr Destinationen hinzu. 1926 wurde dann als Piktogramm der Stern eingeführt, um besonders gute Restaurants zu kennzeichnen. Ein paar Jahre später ergänzte man den zweiten und dritten Stern. Diese Auszeichnungen beeinflussten maßgeblich den Aufschwung und Erfolg der Restaurants, sodass man sich darauf fokussierte.

Warum hat die Bewertung durch den Guide Michelin für Restaurants einen derart hohen Stellenwert?

Ich denke, das hängt stark damit zusammen, dass die gesamte Gastronomiebranche und auch die Gäste wissen, wie seriös und mit welch hohem Qualitätsanspruch wir dem Ganzen nachgehen. Außerdem berücksichtigen wir bei der Bewertung die Veränderungen und Entwicklungen des Marktes – auch das wird sehr geschätzt.

Wie kann ein Restaurant denn auf sich aufmerksam machen?

Auf Neuentdeckungen werden unsere Inspektoren, die die Restaurants testen, meist durch Hörensagen oder Empfehlungen in der Branche aufmerksam. Zudem bekommen wir viele Zuschriften von Gastronomen, die gerne in den Guide aufgenommen werden möchten.

Was zeichnet die Inspektoren aus, die die Restaurants bewerten?

All unsere Tester verfügen über eine fundierte Ausbildung in der internationalen Spitzengastronomie und/oder -hotellerie. Wir arbeiten also ausschließlich mit Fachleuten zusammen, die ein umfangreiches gastronomisches Wissen mitbringen und darüber hinaus eine offene Einstellung gegenüber verschiedenen Küchen- und Kochstilen haben. Neben den fachlichen Kenntnissen müssen sie natürlich auch eine gewisse Reisebereitschaft haben, da sie bis zu 28 Wochen im Jahr unterwegs sind – und das mehr oder weniger alleine.

Und wie läuft so ein Testessen ab?

Unsere Inspektoren treten bei den Tests wie normale Restaurantgäste auf und bleiben anonym. Häuser, die das Potenzial haben, einen neuen oder zusätzlichen Stern zu ehalten oder Gefahr laufen, einen Stern aberkannt zu bekommen, werden mehrfach von unterschiedlichen Testern besucht. Das gewährleistet die Zuverlässigkeit und Objektivität der Auszeichnung. Die Entscheidung, welche Häuser im Guide empfohlen werden, treffen die Inspektoren dann mit dem Direktor der jeweiligen Länderausgabe gemeinsam.

Und welche sind die Bewertungskriterien?

Es wurden insgesamt fünf Kriterien für die Vergabe von Michelin-Sternen definiert, die weltweit gleich sind: die Qualität und Frische der Produkte, die fachgerechte Zubereitung und der Geschmack des Essens, die persönliche Note der Küche, das Preis-Leistungs-Verhältnis sowie die stets gleichbleibende Qualität und Beständigkeit der Küchenleistung. Die Auswahl der Restaurants erfolgt dabei völlig unabhängig und ist einzig am Nutzen der Gäste orientiert.

Wer erhält denn dann den Stern? Der Chefkoch, das Team oder das Restaurant?

Die Leistung des gesamten Restaurant-Teams geht in die Wertung ein. Das wird oft missverstanden. Denn ein Stern würdigt nicht allein die Leistung des einzelnen Küchenchefs. Das heißt, genau genommen gibt es keinen „Sternekoch“. Allgemein hat es sich in der Öffentlichkeit jedoch etabliert, dass derjenige, der (haupt)verantwortlich für die Verleihung eines oder mehrerer Michelin-Sterne ist, als Sternekoch bezeichnet wird.

Was passiert, wenn der „Sternekoch“ das Restaurant verlässt?

Wenn es zu einem Wechsel des Küchenchefs kommt, beobachten wir das ganze natürlich sehr genau und prüfen das Restaurant erneut.

Wie lange behält ein Restaurant normalerweise seinen Stern oder die Sterne?

Jedes Sterne-Restaurant wird von unseren Inspektoren jedes Jahr aufs Neue geprüft. Wir beobachten die Leistung sehr genau. Damit wird garantiert, dass kein Stern aufgrund einer einzelnen Erfahrung aberkannt oder neu vergeben wird.

Also kann ein Restaurant einen Stern auch wieder verlieren?

Ja, natürlich. Sollte ein Restaurant innerhalb des angegebenen Jahres nicht mehr den erwarteten Standards entsprechen, kann ein Stern auch aberkannt werden. Dies kann beispielsweise durch den bereits angesprochenen Wechsel des Küchenchefs bedingt sein oder durch andere unabhängige Faktoren.

Was genau bedeuten ein, zwei oder drei Sterne?

Die Sterne sind dafür da, den Lesern des Guide Michelin einen Hinweis auf die zu erwartende Qualität eines Hauses zu geben. Ein Stern bedeutet: eine Küche voller Finesse – einen Stopp wert. Zwei Sterne heißen: eine Spitzenküche – einen Umweg wert. Und drei Sterne stehen für: eine einzigartige Küche – eine Reise wert.

Seit 2020 gibt es auch einen grünen Stern – was bedeutet dieser?

Wir prämieren damit Häuser, die sich ganz klar für eine umweltschonende Betriebsführung und einen respektvollen Umgang mit der Natur entschieden haben. Angefangen etwa bei der regionalen Herkunft und Qualität der Produkte über die Saisonalität der Menüs bis hin zu Abfallvermeidung und Recycling. Wer also auf der Suche nach Restaurants mit besonders nachhaltiger Ausrichtung ist, der sollte nach dem grünen Stern Ausschau halten.

Vielen Dank für das Gespräch!