Gebt mir eine Nähmaschine und ein Stück Stoff und ich bin glücklich.“ Irene Luft ist eine der bekanntesten Couture-Schneiderinnen Deutschlands. Ihre feminin-spektakulären Roben sind bei glamourösen Veranstaltungen immer wieder erste Wahl bei den Stars und Lieblingsmotive der Fotografen. Moderatorin Viviane Geppert strahlte 2018 bei den Oscars in einem roséfarbenen Traum aus Spitze und Blüten, Model Franziska Knuppe glänzte schon in ihren sexy-opulenten Kreationen bei Bambi-Verleihungen und Galaveranstaltungen, Viktoria Lauterbach beim Bayerischen Filmpreis, Collien Ulmen-Fernandes beim Mon Chéri Barbara Tag, Bettina Zimmermann beim Raffaello Summer Day – die Liste ließe sich lang fortsetzen. Und auch Fans von Heidi Klums Erfolgsshow „Germany´s Next Topmodel“ dürfte der Name der zierlichen blonden Designerin ein Begriff sein. Bereits in mehreren Staffeln wurden die Kandidatinnen auf dem Laufsteg und bei Shootings in ihren Looks in Szene gesetzt.

Doch der bisher größte Triumph des Münchner Couture-Labels liegt gerade einmal zwölf Monate zurück: die erste eigene große und offizielle Modenschau bei der Paris Fashion Week im Herbst 2022. Viele Jahre hatte Irene Luft ihre Kollektionen erfolgreich in Berlin bei der Mercedes-Benz Fashion Week vorgestellt, doch „Paris ist einfach noch mal eine Nummer größer“, erzählt sie. „Alle haben uns davon abgeraten, gesagt, es sei ein Haifischbecken und wir würden darin nicht überleben, doch nach Corona dachten wir: Jetzt erst recht.“ Seitdem ist vor allem das internationale Interesse an ihren Entwürfen stark gestiegen und einige spannende Kooperationen stehen in den Startlöchern. Schon einmal hatten Mut und Lust an der Renitenz für große Aufmerksamkeit gesorgt: Das war 2013, als während der Istanbuler Gezi-Proteste Bilder mit Aktivisten in Gasmasken um die Welt gingen und die Designerin ihre Models als Zeichen der Solidarität und des Aufbruchs mit ebensolchen (künstlerisch modifizierten) Masken in Berlin über den Laufsteg schicken wollte – und schließlich mit Beharrlichkeit den Veranstalter davon überzeugen konnte. Es folgten zahlreiche Erwähnungen in der Presse und eine Einladung, für den amerikanischen TV-Sender TNT eine Modenschau in New York auszustatten.

Doch so sehr ihre Looks fürs Rampenlicht gemacht sind, Irene Luft selbst wirkt am liebsten im Hintergrund. Entwirft, zeichnet, ändert, schneidet zu, näht. „Meine Mutter ist Schneidermeisterin und auch ich wollte schon als kleines Mädchen nichts anderes sein“, verrät die 45-Jährige, die als Teenager mit ihrer Familie aus Kasachstan nach Deutschland kam. Nach der Schule machte sie eine Schneiderlehre, lernte dann Schnitt und Entwurf an der Deutschen Meisterschule für Mode in München und studierte im Anschluss Modedesign an der AMD Akademie Mode & Design. Nach ersten Unternehmenserfahrungen (u. a. bei Rena Lange) stand für sie schnell fest, sich als Couture-Schneiderin selbstständig zu machen. „Es ist einfach das, was mir am meisten Spaß macht und worin ich perfekt sein möchte.“ Deshalb geht auch jedes Kleidungsstück wenigstens in einem letzten Schritt immer durch ihre Hände, egal, ob Couture oder kleine Kollektion. Einmal sollte die Produktion einer Hose komplett ausgelagert werden. „Als wir Fertigungszeit und Preis hörten, ist uns fast schwindelig geworden und Irene hat sich wieder selbst an die Nähmaschine gesetzt“, erzählt ihr Geschäfts- und Lebenspartner Michael Albrecht. Mit ihm gemeinsam führt sie das Label seit 2009. Er ist „Finanzchef, Organisationstalent und Waterboy in einem“, sodass sie sich vollkommen auf die Kreation konzentrieren kann. Mit der Unterstützung von aktuell einer Auszubildenden entstehen alle Entwürfe im weitläufigen Atelier in Neuhausen, die ShowKollektionen ebenso wie die Maßanfertigungen. Im vorderen Teil des Ladengeschäftes reiht sich Robe an Robe, eine glanzvoller als die andere, hier lassen sich die Kundinnen inspirieren, probieren an und besprechen individuelle Wünsche für das neue Cocktail-, Abend- oder Brautkleid mit der Designerin. Im hinteren Teil, inmitten von Nähmaschinen, Schneiderpuppen, Stoffballen und großen Zuschneidetischen, schlägt das Herz der Produktion.

Was die Kreationen von Irene Luft so besonders macht? Sie sind wie wertvolle seltene Kunstwerke. In aufwendiger Handarbeit gefertigt, inszenieren sie die Weiblichkeit der Trägerin ebenso spektakulär wie subtil. Dabei spielt die Couture-Schneiderin mit Opulenz und Transparenz, mit Seide, Leder und Spitzenstoffen, mit rasanten Silhouetten und raffinierten Drapagen. „Natürlich unterscheiden sich die Showteile stark von den Maßanfertigungen für Privatkundinnen“, erklärt sie. „Die einen müssen hauptsächlich wow aussehen und für Aufsehen sorgen, die anderen dazu noch über einen längeren Zeitraum tragbar sein.“ Ihr Markenzeichen ist jedoch auf beinahe jedem ihrer Entwürfe präsent: die Blüte. „Die Irene-Blüte, wie meine Auszubildenden sie gerne nennen“, lacht sie. „Denn sie ist eine Fantasiekreation. Ich weiß genau, wie sie auszusehen hat, kann es aber nicht in Worte fassen.“ Hunderte dieser handgefertigten Fantasieblüten lagern in verschiedenen Farben, Größen und Materialien in Schachteln in den Regalen ihres Ateliers und warten darauf, als kunstvolle Applikationen verarbeitet zu werden. Eine Aufgabe, die zwar langwierig ist, die die Designerin aber ebenso entspannt wie ein Spaziergang mit ihrem Pudel Mango. Wenn sich also abends oder am Wochenende die Nachbarschaft in ihrem Ladengeschäft auf einen Ratsch oder zum Abendessen trifft, dann setzt sich Irene Luft dazu – und näht. Sie zuckt lächelnd mit den Schultern: „Ich kann einfach ganz schlecht nichts tun. Das macht mich nervös.“

Bildrechte: Bridal/Philipp Ledényi