Horror Vacui

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Den lateinischen Kunstbegriff für die „Scheu vor der Leere“ wählte Anna Heinrichs als Namen für ihr Modelabel. Und sieht ihn als Appell, ihre Designs mit fantasievollen Prints und Details zu füllen.

Am liebsten schlendert Anna Heinrichs in ihrer Freizeit durch Museen wie die Alte Pinakothek in München oder das Musée de la Mode in Paris. Lässt sich dort durch die Säle treiben und inspirieren von den altehrwürdigen Gemälden oder Kostümen, von ihren Entstehungsgeschichten und von den Bewegungen, die sie beeinflusst haben. Dabei fasziniert sie vor allem eine künstlerische Strömung: das Arts-and-Crafts-Movement, das Mitte des 19. Jahrhunderts entstand und maßgeblich vom britischen Maler, Architekt und Dichter William Morris geprägt wurde. Die Verbindung zwischen Kunst, Arbeit und Gesellschaft, das Entgegenwirken der industriellen Massenproduktion sowie die Freude am Handwerk und der natürlichen Schönheit des Materials standen hier im Fokus. Attribute, die auch heute für Anna Heinrichs einen hohen Stellenwert haben.

2013 hat die Münchnerin ihr Label gegründet und den Namen HORROR VACUI bewusst gewählt. „Wenn ich ein weißes Kleidungsstück mit Prints und aufwendigen Details fülle, gibt ihm das Charakter und eine gewisse Exzentrik“, erklärt die 33-Jährige ihren Anspruch. Aufgewachsen in der Textilbranche, ihre Mutter Larissa betreibt einen Fertigungsbetrieb, ist Anna Heinrichs von klein auf begeistert von der Vielschichtigkeit des Modehandwerks. Und hat später sogar das Jurastudium vorzeitig beendet, um sich ganz ihrer Passion zu widmen. Dabei haben es ihr Pyjamas schon immer besonders angetan. Mit deren Geschichte und Entwicklung vom sogenannten „Herzschützer“-Nachthemd im 19. Jahrhundert bis zum heute bekannten Klassiker hat sie sich eingehend beschäftigt, bevor sie anfing, eigene zu kreieren. „Ihre Uniformiertheit und Klarheit für einen eigentlich uniformlosen und äußerst privaten Bereich machen sie für mich so interessant“, erklärt die Designerin. Dennoch sieht sie den Trend, Pyjamas im Out-Of-Bed-Style auch tages- oder ausgehfein zu stylen, als glückliche Fügung für ihr Geschäft. „Die Idee, dass jeder meine Kreationen tragen kann, wann und wie er möchte, gefällt mir. Das ist eine tolle Chance und Freiheit.“ Auch als glückliche Fügung sieht es die Designerin, dass sie eines Tages, kurz nachdem sie 2014 ihre erste, kleine Pyjama-Kollektion als noch vollkommen Unbekannte auf der Pariser Modewoche vorstellte, von Christiane Arp, Chefredakteurin der deutschen VOGUE, entdeckt wurde. „Als ich mein Lookbook in die Redaktion schickte, rechnete ich höchstens mit einer kleinen Freisteller-Veröffentlichung“, erzählt sie. „Stattdessen bekam ich eine Einladung, im VOGUE Salon zu präsentieren. Das war natürlich der Wahnsinn.“ Der VOGUE Salon, der während des Berliner Modesalons stattfindet, fördert junge Designer und gibt ihnen die Möglichkeit, von einem breiten Publikum gesehen und wahrgenommen zu werden. Für HORROR VACUI war das der Durchbruch.

Charakteristisch für Anna Heinrichs´ Kreationen sind vor allem die hochwertigen Stoffe mit ihrer Vielzahl an fantasievollen Prints, von Paisley- bis Millefleurs- oder Dschungelmotiven. Feinste ägyptische Baumwolle in Tana-Lawn-Qualität aus dem britischen Traditionshaus Liberty-London verwendet die Designerin neben reiner Seide besonders gern. Leicht, glatt und dennoch dicht gewebt wirken die Drucke darauf gestochen scharf und klar. „Ich liebe es, das samtweiche Material zu fühlen und in den Prints zu versinken, um darin immer wieder etwas Neues zu entdecken, je länger man sie betrachtet“, schwärmt sie. Aber auch die Schnitte sind – und das nicht erst bei näherer Betrachtung – herrlich detailverliebt und ausgefeilt. Paspelierte Reverskrägen und Knopflöcher, stoffüberzogene Knöpfe oder aufgesetzte Taschen ohne Nahtkanten sind nur einige der „Signature“-Kennzeichen bei den Pyjama-Oberteilen. Der Taillenbund mit flacher Front und lediglich seitlichen Gummizügen sowie die extra breiten Manschetten sind typisch für die Hosen. Jedes dieser Details ist ein Extra-Arbeitsschritt in der Produktion, was die Fertigung besonders aufwendig macht und auch den Verkaufspreis (ab ca. 350 Euro) bedingt.

Anna Heinrichs´ persönliches Lieblingsdekor ist das Knopfloch am Revers der Herren-Pyjamas mit integriertem Boutonniere-Loop für die Knopflochblume, einer aus der Maßkonfektion bekannten Finesse. Mittlerweile hat die Designerin neben den Pyjamas auch Morgenmäntel, Boxershorts und – ganz neu ab dem kommenden Sommer – romantische Kleider mit filigranen, künstlerischen Prints in ihre Kollektionen aufgenommen. Und bei diesen ihre eigene Detailversessenheit, wie sie lachend zugibt, mit handgenähten Volants, Paspelierungen und Smok-Einsätzen noch auf die Spitze getrieben.

Nachtrag: Im Januar 2017 wurde HORROR VACUI als eines von vier Labels zum Gewinner des Förderprogramms „FELLOWSHIP PROGRAMME BY THE FASHION COUNCIL GERMANY AND H&M“, das von dem FASHION COUNCIL GERMANY in Zusammenarbeit mit der Modekette H&M vergeben wird, gekürt. Wir gratulieren!