Based Upon

Eine prägende Kindheit

Der Nordosten Englands hat als Zentrum des Schwermaschinen- und vor allem Schiffbaus eine lange Tradition. Am River Tyne, der Lebensader der Region, lagen Anfang des 20. Jahrhunderts einige der bedeutendsten Werften der Welt. In den 1970er-Jahren löste dann die Konkurrenz aus Asien einen schleichenden, aber unaufhaltsamen Niedergang dieser lokalen Industrien aus. Die ehemals florierenden Gemeinden verarmten und das soziale Klima wurde rauer. In dieser Zeit des Wandels sind die Zwillingsbrüder Ian und Richard Abell, Gründer und kreative Köpfe des Kunst- und Designstudios Based Upon, aufgewachsen. „Es war traurig zu sehen, wie alles den Bach hinunterging. Als Kinder und Jugendliche haben wir immer darüber gestaunt, wie viel Knowhow es braucht, um all diese riesigen Schiffe oder Brücken zu bauen“, erinnert sich Ian.

Dass sie später selbst Meister darin werden sollten, groß dimensionierte und komplexe Dinge zu entwerfen und zu fertigen, war damals noch nicht zu erahnen. Nach der Schule studierte Ian zunächst einmal Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Elite-Universität Oxford, während Richard Buchhaltung lernte. Im Anschluss gerieten beide in den Strudel des Dotcom-Booms, in dem Ende der 1990er-Jahre mit dem Durchbruch des Internets auch für private User börsenfinanzierte Start-ups wie Pilze aus dem Boden schossen, die Internetdienste und Online-Shopping anboten. Eine schöne neue, elektrisierende Welt, die das schnelle Geld versprach, bevor sie im März 2000 nach einem spektakulären Börsencrash wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel.

Die Phase der Neuorientierung

Mittendrin die Abells, die sich in ihren Internetjobs sowieso zunehmend unwohl fühlten und sich danach sehnten, kreativer zu arbeiten und am Ende des Tages die Früchte ihrer Arbeit im engeren Wortsinn in den Händen zu halten. Beide verspürten eine innere Leere, worauf schließlich eine Phase der Neuorientierung folgte, in der Richard darüber nachdachte, Schriftsteller oder Filmemacher zu werden, bevor sein Bruder ihn dazu drängte, sich mit bildender Kunst und Design zu beschäftigen. Im Jahr 2004 gründeten sie zusammen mit ihrem Freund und Künstler Alex Welch das Studio Based Upon in London, ein überraschender und gewagter Schritt, da beide über keinerlei Ausbildung in diesen Bereichen verfügten. Doch getreu ihrem Motto „eifrig experimentieren, in Demut scheitern und wieder von vorne beginnen“ lernten sie schnell die nötigen, teils sehr aufwendigen und innovativen Fertigungstechniken, wie das Gießen von Flüssigmetall oder Bronze, für die sie heute berühmt sind.

Und feierten ebenso schnell erste Erfolge:

Zuerst arbeiteten die drei an der Gestaltung des Restaurants Nobu Berkeley St mit, damals einer DER kulinarischen Hotspots der Themse-Metropole, dann folgte eine Neuinterpretation des ikonischen Favela Chairs der Campana-Brüder, die für Furore sorgte. Später kamen Möbelentwürfe für Superyachten hinzu und als vorläufiger Höhepunkt 2015 mit „A Grain of Rice“ die erste monumentale, zehn Meter hohe Metallskulptur des Trios. Seitdem stehen Sammler, Firmen und Luxusmarken wie Tiffany & Co. oder Rolls-Royce Schlange, um ein Based-Upon-Objekt in Auftrag zu geben.

DIE WELT ALS GANZES ERFAHRBAR MACHEN

Ein erstaunlicher Erfolg, der damit zusammenhängen mag, dass sich die Arbeiten des Studios sehr universellen Themen widmen. In ihrem OEuvre spielt die Natur als Inspirationsquelle eine maßgebliche Rolle. Ian und Richard sind Naturfanatiker und verbringen so viel Zeit wie möglich in unberührten, stillen Landschaften wie den schottischen Highlands, verschiedenen Regionen Indiens, den Aran-Inseln vor Irland oder im Grand Teton National Park im US-Bundesstaat Wyoming. Dort dokumentieren sie Fundstücke, machen 3D-Scans und physische Abgüsse, setzen Drohnen ein und fotografieren – sowohl digital als auch analog. Zurück in ihrem imposanten Londoner Studio, das einem Industriebetrieb gleicht, in dem 30 Mitarbeiter – darunter Handwerker, Metallarbeiter und Künstler – an CNCFräsen, Schleifmaschinen und Lackierpistolen ihre geräuschvolle Arbeit verrichten, beginnt der Prozess der Umsetzung der Impressionen in Kunst oder Design, bei dem das Vorgefundene oft durch eine Hochskalierung neue Bedeutungsebenen erfährt.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die oben bereits erwähnte Skulptur „A Grain of Rice“, die die Form eines Reiskorns hat und für den Hauptsitz der HSBC-Bank in Hongkong entworfen wurde. „Für sich genommen mag ein Reiskorn unscheinbar und von bescheidenem Wert sein. Ändert man jedoch den Kontext, wird sein Wert unermesslich“, erläutert Ian. Dieses Verfahren der De- und Rekontextualisierung prägt auch viele andere Werke des Studios, etwa die Couchtisch-Serie „Fragmented Crack“, die den Rissen eines Lehmhauses in Uganda nachempfunden ist, oder die Raumteiler der „Bubbles Series“ aus Bronzeguss, Harz, Koa- Akazienholz und Edelstahl, deren Formgebung von der Vulkanlandschaft auf der hawaiianischen Insel O’ahu inspiriert ist.

Den wahren Wert von Dingen sichtbar zu machen und Dinge von Wert zu schaffen, treibt die Based-Upon-Macher an. Ein Großteil ihrer Werke sind Auftragsarbeiten, die sich mit der individuellen Geschichte des jeweiligen Auftraggebers und dem, was ihm im Leben besonders wichtig ist, auseinandersetzen. So entstehen bleibende Stücke, die sich der allgemeinen Vorstellung von Luxus entziehen und stattdessen in eine neue Kategorie fallen, die Ian „priceless“ nennt, was man mit „unbezahlbar“ übersetzen könnte. Ein weiteres erklärtes Ziel ihrer Arbeit ist es, Zusammenhänge aufzuzeigen und – im Idealfall – beim Betrachter das spirituelle Gefühl auszulösen, mit den von ihnen geschaffenen Objekten und ihrer jeweiligen Story so verbunden zu sein, dass die als fragmentiert empfundene Welt als einziges großes Ganzes erfahrbar wird. Um diese Verbindung herzustellen, setzen die Zwillinge auf Herstellungsverfahren wie Druckguss und Materialien wie Bronze, Aluminium, Granit oder das selbst entwickelte Tramazite, die alle eine explizit haptische Qualität haben. „Ich liebe die Resonanz physischer Materialien und die Beziehung, die wir zu einem handgefertigten Objekt aufbauen können, wenn wir es berühren und so vielleicht die Absicht seines Schöpfers spüren“, so Ian.

DER NATUR ZUHÖREN

Aufsehen erregten auch die diversen Pianos, die das Studio u. a. in Zusammenarbeit mit Steinway & Sons in den letzten 15 Jahren entwarf. Schon frühere Modelle wie „The London“, dessen Notenpult aus drei Messing-Platanenblättern besteht, hatten den für Based Upon typischen Naturbezug. Bei ihrem neuesten E-Piano-Projekt „Twist/D“, dessen skulpturales Äußeres einem Blatt nachempfunden ist, ging das Studio noch einen Schritt weiter: Ian und Richard reisten auf die Isle of Skye, ließen in den dortigen Hügel- und Berglandschaften sowie in Höhlen Luftballons platzen und nahmen die dabei entstehenden Geräusche und Echos auf. Diese Aufnahmen wurden dann in die Software des Pianos eingespeist, sodass ortspezifische Filter zur Verfügung stehen, über die der Piano-Sound so verändert werden kann, dass er mit der Akustik der Insel interagiert. Das mit diesem Filter erzeugte Klangerlebnis verbindet Spieler, Zuhörer und Natur für einen magischen Moment und macht jenes beglückende Gefühl von „wholeness“ (dt.: Ganzheit) greifbar, das wir, laut Ian, im Kern unseres Wesens von Geburt an in uns tragen.

Jaideep Oberoi (From Where Did This Paradise Spring?)