Flüssiges Gold – Eiswein
Feinkost Käfer
Prinzregentenstr. 73
München
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Die Entstehungsgeschichte des Eisweins beginnt der Legende nach mit einem Zufall. 1829 war in Deutschland ein derart schlechtes Weinjahr, dass viele Trauben gar nicht erst geerntet wurden. Als die Winzer im rheinland-pfälzischen Dromersheim bei Bingen nach einer Reihe von starken Frösten die Trauben doch noch pflückten, um sie an das Vieh zu verfüttern, stellten sie fest, dass sie zwar wenig, dafür aber einen wunderbar süßen Saft enthielten. Aus den daraufhin versuchsweise ausgepressten gefrorenen Trauben entstand – vermutlich am 11. Februar 1830 –der erste Eiswein der Welt.
Womit auch schon in aller Kürze umrissen wäre, was Eiswein, der heute nicht nur in Deutschland, sondern u. a. auch in Österreich, Kanada und der Schweiz hergestellt wird, so besonders macht: Während in einem schlechten Weinjahr lediglich weniger und qualitativ minderwertigerer Wein gekeltert wird, kann Eiswein nur dann produziert werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die Trauben, meist weiße Sorten wie Riesling, Gewürztraminer oder Vidal, bleiben nach der Reifezeit bis in den Winter am Rebstock hängen. In dieser Zeit gibt es gleich mehrere Faktoren, die die Trauben schädigen können: etwa der Feuchtigkeit des späten Jahres geschuldete Edel- und Graufäule oder Schimmel, aber auch Trockenschäden durch zu wenig Regen und Tiere wie Wildschweine, Rehe oder Vögel, die sich über die süßen Delikatessen hermachen. Selbst Väterchen Frost, grundsätzlich eine Conditio sine qua non für Eiswein, kann die Trauben zerstören, wenn er zu stark ausfällt. Ideal sind Temperaturen zwischen minus sieben und minus zwölf Grad, die das Wasser in den Beeren gefrieren lassen. Eine echte Wetterlotterie, die dazu führt, dass Eisweine in Deutschland nur alle drei bis fünf Jahre hergestellt werden. Wenn dann alles zusammenpasst, muss es schnell gehen. Die Trauben werden – meist von Hand – in der Nacht oder den frühen Morgenstunden gelesen, damit sie bei der Verarbeitung nicht auftauen. Eine mühevolle Arbeit, da die Beeren klein, hart und in der Kälte schwer zu pflücken sind. Nach der Ernte werden sie sofort gepresst, wobei das gefrorene Wasser zurückbleibt, und ein hochkonzentrierter zucker- und säurehaltiger Most austritt. Dieser wird in der Folge bei niedrigen Temperaturen mithilfe von natürlichen Hefen oder Reinzuchthefen vergoren. Da die Hefen den hohen Zuckergehalt des Mostes nur langsam in Alkohol umwandeln können, kann dieser Prozess Wochen bis Monate dauern. Dabei ist das begleitende handwerkliche Knowhow des Winzers voll gefordert. Am Ende all dieser Mühen steht ein Süßwein, der seinesgleichen sucht und mit seinem niedrigen Alkoholgehalt (zwischen sieben und zwölf Prozent) wunderbar in eine Zeit passt, in der man ohne Reue und gesundheitliche Nebenwirkungen genießen möchte.
Wer nun denkt, Eiswein würde mit einem Restzuckergehalt von 100 bis 200 Milligramm pro Liter (das entspricht 30 bis 60 Zuckerwürfeln!) vorwiegend süß, womöglich zu süß schmecken, irrt. Das Geheimnis des Eisweins ist seine vitale Säure, die einen Kontrapunkt zur Süße bildet und diese Weinrarität überraschend frisch und animierend daherkommen lässt. Die Qualität von Süßweinen, wie von Weinen überhaupt, lässt sich eben nicht nur an einem wie auch immer gearteten Bouquet bemessen, sondern vor allem am Gaumen. Schmeckt der Wein hinsichtlich Säure und Süße ausgewogen? Hat er eine geschmeidige Textur? Fesselt er mit einem komplexen Aromenspiel und hallt er lange im Mund nach? Apropos Aromen: Schon im Bouquet deutet sich an, dass Eiswein nach einem facettenreichen Mix aus fruchtigen, floralen und würzigen Noten schmeckt. Bei den fruchtigen Noten dominieren exotische Früchte wie Mango und Papaya oder Steinobstnoten wie Pfirsich, bei den blumigen Holunderblüten und Kamille sowie bei den würzigen Honig und Vanille. Dass diese Aromen je nach Rebsorte, Jahrgang und Anbaugebiet variieren können, versteht sich von selbst. Unterlegt sind die Aromen von einer feinen Mineralität, die den Eindruck von Frische vermittelt.
Aufgrund seiner Seltenheit und auch seines Preises (eine 0,375-Liter-Flasche eines seltenen Jahrgangs kann 150 Euro und mehr kosten) bietet sich das flüssige Gold als sogenannter „Meditationswein“ an, den viele Liebhaber achtsam und in aller Ruhe, dem Geschmack Schluck für Schluck nachspürend, ohne Ablenkung pur genießen. Wer Wein hingegen lieber zum Essen trinkt, findet im Eiswein aber auch einen erstaunlich vielseitigen Essensbegleiter. Traditionelle und empfehlenswerte Food Pairings sind Frucht- und Schokoladendesserts, Vanille und Käsekuchen, diverse Käsesorten wie Blauschimmel- und Ziegen- käse, Brie, Camembert & Co. sowie Gerichte der scharf gewürzten asiatischen Küche. Dass Eiswein aber auch formidabel zu Fisch und Meeresfrüchten passt, mag überraschen. Eine spannende Kombination für abenteuerlustige, mutige Feinschmecker ist jene mit geräuchertem Lachs, bei der die fruchtige Eisweinsüße die salzigen und rauchigen Aromen der Räucherspezialität besonders reizvoll kontrastiert.
Zum Abschluss sei erwähnt, dass man dem luxuriösen Nektar, einem wahren Geschenk der Natur, am besten gerecht wird, wenn man ihn aus einem mundgeblasenen Dessertweinglas trinkt, das so gestaltet ist, dass der Wein im Mund zuerst mit den seitlichen Zungenrändern in Berührung kommt, die vor allem für die Wahrnehmung von Säure, Mineralität und Frische verantwortlich sind.
Bildrechte: Max Baumann (Schneebeeren), Kevin Mille (Weinbeerenfarm im Schnee), Karepa Stock (Beeren im Morgenlicht), Shaun Lowe (Gläser und Beeren)